Пьесы

MORGEN STERBE ICH NICHT

MORGEN STERBE ICH NICHT

DIMITRI SOKOLOV

Ulja (35)
Alex (35)
Kolja (22)
Friedman (70)
Mama (60)
ein junger Mann, ein Manager, eine Frauenstimme, ein Mädchen, des Mädchens Mutter

1.

Moskau, in einem Park. Im Frühseptember am Morgen. Ulja und Alex liegen auf dem Rasen und betrachten den Himmel. Ulja – eine Blonde im Jeansrock und einem großen Männersakko. Auf Handknöcheln trägt sie eine eintätowierte Inschrift „l i e b e“. Alex – ein hochwüchsiger, kahler, robuster Mann mit einer Narbe auf der rechten Braue.

Ulja: Schaust du mir gerne zu? Alex: Ja
Ulja: Bin ich schön?
Alex: Ja. Weil du so dick bist. Ulja: Gefalle ich dir so?

Alex: O ja und wie! Ich liebe Brötchen.
Ulja: Und wann gefalle ich dir am meisten? Morgens oder abends?
Alex: Morgens.
Ulja: Und warum?
Alex: Morgens bist du noch dicker.
Ulja: Bitte, Alex!
Alex: Morgens. Da habe ich noch ganzen Tag vor, um dir zuzusehen.
Ulja: Und was hast du da?
Alex: Ein wenig Honig. Für dich. Damit du noch dicker wirst.
Ulja: Du und deine Späße!
Alex: Ach was, Ulja. Lass uns doch.
Ulja: Nun ja, aber es wurde so nicht ausgemacht.
Alex: Egal doch. Lass uns mal.
Ulja: dann will ich wenigstens ein wenig Honig.
Alex: die Sache ist, ich hab schon alles aufgegessen.
Ulja: Bist du bescheuert?
Alex: ich kann doch nix dafür, du bist doch schnell wie ́ne Schnecke. Aber ich schenke dir gern diesen leeren Topf. Freust du dich? Nein! Nein! Was machst du ja? Lass mich los, du Fettgans! Ulja: Ich zerdrücke dich tot, du Kuschelbärchen.
Alex: Weg, weg, du Fettberg! Hieeelfeee!

Ulja sattelt sich auf Alex.

Ulja: weißt du, sie ist jede individuell. Die Wolke. Es gibt sieben oder acht Gattungen. Und jede Wolke wird anders benannt.
Alex: und wie heißt die deine?

Ulja: schau doch konzentrierter. Jede verbirgt was.
Alex: Nö, deine soll doch unbedingt irgendwie heißen. Lass uns sie taufen. Wie wenn mit deinem Namen?
Ulja: pass doch auf ihre Konturen.
Alex: und was ist mit denen?
Ulja: es ist, als ob diese Wolke noch eine andere im Rücken hat. Und die zweite noch eine dritte. Und sie reihen sich quasi hinter der ersten. Oder sie wohnen in ihr, in der größten. Und in der kleinsten – ganz am Ende – da steckt das Geheimnis.
Alex: wie Matrjoschka oder? Aber ja, nun hab ich ́s!
Ulja: Was denn?
Alex: deine Wolke soll Matrjoschka heißen. Eben. Eine Matrjoschka und in ihrem Bauch trägt sie unsere kleine Geheimnisse.
Ulja: diese Wolke hat aber was großes im Bauch.
Alex: du, mein Matrjoschchen.

Sie lachen und küssen sich.

2
in Tretjakow-Galerie. Eine mediales Panorama „Gontcharowa und Maljewitsch in 3D“. Ulja hat eine große 3D-Brille auf. Sie schreitet durch den leeren markierten Raum, hebt ihre Hände. Daneben Alex im Anzug und blank geputzten Schuhen. Er betrachtet ein Bildschirm, das die Uljas Handbewegungen live nachvollzieht, indem sie im 3D-Raum etwas zeichnet. Alex hält eine Bernsteinkette in der Hand. Ulja setzt die Brille ab, gibt sie einem jungen Mann, der das Panorama betreut.
Ulja: Nun ja, nicht ganz, was ich wollte.
Alex: mir gefällt ́s gut. Eigentlich toll.

Ulja merkt eine SMS von Friedman auf ihrem Handy. Sie liest und schreibt zurück.

Friedman (sms): Und wie läuft?
Ulja (sms): Bisher nix. Bin noch beim Arbeiten. Ulja schaut auf die Kette in Alex Händen.
Ulja: hast du Zeit nachher?

Alex gibt die Kette an Ulja.

Ulja: wie? warum?
Alex: der angehenden Malerin von ihrem – ich hoffe – bald Ehemann. Ulja: So was, danke.

Sie nimmt die Kette. Friedman meldet sich mit einer nächsten SMS. Sie liest, schreibt zurück.

Friedman (sms): scheiß schlecht wie du arbeitest.
Ulja (sms): Ich zahle alles zurück.
Friedman (sms): Klar tust du, wie sonst. 1,5 Millionen bis WE.

Alex: das hat meine Mutter gemacht. Ulja: hast du eine Kaugummi?

sie probiert die Kette an.

Ulja: selber gemacht, meinst du?

Alex holt eine Kaugummipackung aus der

Tasche, gibt Ulja.

Alex: Sie arbeitete für eine Bernsteinfabrik in Jantarnuj. Bei uns da, kannst nachzählen, beinahe 90% Bernsteinvorkommen weltweit. Bei uns machen alle so was.

Ulja schüttelt versehentlich gleich 3 Gummis aus. Drückt zwei übrigen zurück in die Packung.

Alex: Matrjoschchen, was ist? Nimm doch alles. Ulja: Was?
Alex: Alles, behalte gerne alles.
Ulja: ich wollte aber nur eine.

Alex: zu spät. Die restlichen nun nicht mehr virenfrei.
Ulja: na so eine Mimose. Bereut deine Mutter eigentlich, dass du sie hergeholt hast?

der junge Mann am 3D-Panorama überreicht Ulja ein Foto. Drauf sieht man das Bild, das Ulja im 3D-Raum gezeichnet hat.
der junge Mann: Gratulationen! Ihr Werk lehnt sich definitiv an Kasimir Malewitch.
Ulja: Juhu! Und auf Instagram?

der junge Mann: schon erfolgt, automatisch. Ebenso auf fb und die Mail-Adresse. Ulja: Super, danke.

Ulja und Alex gehen die Treppe auf und kommen auf den ersten Stock. Das Foyer im Eingangsbereich der Ausstellung ist voller Menschen, alle trinken Sekt, man hört eine Sängerin, begleitet von Jazz-Musik.
Ulja: Ich hasse, wenn Russe Jazz singen. Abgeschmackt.
Alex: Und ich hasse, wenn Russe saufen. So wie diese.

Sie gehen schnell durch, zeigen ihre Eintrittskarten, betreten den Raum, wo Ilja und Emilia Kabakows ausgestellt sind. Der Ausstellungstitel „Die Zukunft nicht für alle“. Ulja und Alex halten Hände.
Ulja: Und wie wenn vielleicht mal ehrlich – ich lasse alles stehen und liegen und werde eine Künstlerin.

Alex: Was soll das „vielleicht“? Kein vielleicht, sondern klar: ich bin in dir sicher. Ulja: du gabst aber doch noch keine Antwort, ob du nachher frei hast?
Alex schaut ihr nachdrücklich zu.
Ulja: was nun?

Alex: Wie aus dem Gesicht geschnitten. Besonders die Profile.
Ulja: wann lässt du uns nun endlich kennenlernen?
Alex: Eines Tages. Erst mach ich ihre Wohnung fertig. Dann zieht sie ein. Dann lernt man sich kennen.
Ulja: Klar, du hast Seile statt Nerven. Ich hätte mich längst erschossen, mit meiner Mutter zusammen zu wohnen.
Alex: wie so magst du sie nicht?
Ulja: doch, ich mag sie. Sie mich aber nicht.
Alex: das sagst du.
Ulja: Katzen und Katzen und Katzen – alles, was sie interessiert.
Alex: jeder ist eigenartig, indem wie man liebt.
Ulja: So haben Katzen Glück: ihr Leben ist voller Liebe.
Ulja schlägt die Ärmel hoch, weil sie im großen Sakko fast ertrinkt. Alex lacht.

Alex: du mein Dreckspatz.
Ulja: was weißt du von der Mode? Das ist doch Oversize. Oder tut dir dein Armani leid? Oder was soll das?
Alex: doch, dir stehen meine Sachen gut.

Sie gehen auf ein Bild zu. Ein weißes Leinwand, an Rändern schwarz bemalt wie einen Rahmen, auf dem Bild eine gemalte Fliege. Mitten die Inschrift: „Es blast der Frühlingswind übers Land! Mit jedem Tag wird heiterer das Leben!“
Ulja: oder ich könnte Performerin werden. Wie dieser hier – auch kein nur Maler.

Alex: Hör den Witz. Ein Theater schließt für Sommerpause. Nur die Kassiererin bleibt. Es kommt eine Fliege und sagt zu ihr: „Also? Wann geht es wieder los mit euren Scheiß-Schows?“ Ukja: war es eine Andeutung etwa?

Es kommen Teens an den beiden vorbei. Sie tragen breite 3/4 Hose, gigantische T-Shirts und Laufschuhe auf dicken Sohlen. Einer hat blaue Haare.
Ulja: diese haben es noch gut. Null Stress, alles egal.
Alex: das sag ich dir doch immer: es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit.

Ulja: und wirken so frei.
Alex: auch du bist es. Brauchst keine Mamas Genehmigung.

Ulja zwingt ihn in einen dunklen Gang.

Alex: was ist?

Im Gang. Ulja reibt sich mit der Nasespitze an der Alex Nase.

Alex: wie so? Ein Ritus oder was?
Ulja: Wusstest du nicht, dass Eskimos das Küssen nicht kennen? Sie verschaffen ihrer Liebe Ausdruck, indem sie sich mit Nasenspitzen reiben.

Sie reiben sich mit Nasenspitzen. Dann gibt Ulja Alex Zungenküsse.

Alex: Kunst beeinflusst dich gut.
Ulja: Übrigens, weiß ich nun alles zu „Britin“. 475. Im Ganzen. Alex: Für alles?
Ulja: pro Jahr.

Alex küsst Ulja, streichelt ihren Rücken, seine Hände wandern immer tiefer.

Ulja: hey, aber nicht hier doch.
Alex: aber Matrjoschchen, ich halte doch nicht aus. Zwei Monate Sex-Abstinenz. Ulja: Woher 2? Wir kennen uns doch erst seit einem Monat.
Alex: Auf dich, Matrjoschchen, habe ich vorab gewartet.
Ulja: Kann nix dafür. Ich lass mich nicht ohne weiteres so rumficken.
Alex: Matrjoooschchen, bitte.
Ulja: nennst mich noch einmal derart, wirst 2mal solang warten müssen.

Sie nimmt Alex Hand. Sie gehen zum nächsten Bild. Blaues Leinwand. In der Mitte eine kleine Fliege. Oben links in der Ecke die Schrift: „Eva Alexandrowna Kazarjantz: Wessen Fliege da hier?“ Oben in der rechten Ecke: „Jelisaveta Lwowna Swetlitchnaja: Keine Ahnung“. Ulja macht Foto und postet auf Instagram.

Alex: Wieso steht er so auf Fliegen?
Ulja: Und weißt du, was ich als erstes male?
Alex: Unsere künftigen Kinder?
Ulja: Wolken.
Alex: Und unsere Kinder also malst du nicht?
Ulja: Nein, nur die aus der ersten Ehe.
Alex: was denn?
Ulja: nur ein Scherz.
Alex: Ich dachte schon, maybe, verschweigst du mir was?
Ulja: keine Kinder, nur Witz.
Alex: Ich meine aber ernst. Will Minimum 2. Besser 3. Und auf keinen Fall nur eins.
Ulja: Mich brauchst du nicht zu überreden. Je mehr umso besser. Ich hab so ein Gefühl, wie fass ich das, so Tag für Tag, als käme etwas neues auf mich zu. Ich spüre es halt.
Alex: Uuund warum? Weil ein richtiger Mann an deiner Seite.
Ulja: Also, mit dem Job hab ich beschlossen: nur okaye Klienten sollen bleiben. Fürs Überleben halt. Und alle Hysterikerinnen mögen in den Arsch gehen.
Alex: Du, wegen Geldern mach dir momentan keinen Kopf. Hauptsache, reiß dir den Arsch nicht auf. Alles step by step. Ich etwa hab auch mit Scheiß angefangen. Echte Ställe zeigen müssen. Bis 15 pro Tag. Ganz Moskau kreuz und quer kennengelernt. Und davor war ja auch als ob alles okay, steckte in Jantarnyi. Und auf einmal triggerte es. Da sagten auch mir ja alle, wohin denn – du und ein Immobilienagent.
Ulja: Schit, diese Hypothek noch hinzu.
Alex: Aber du sagtest, die Wohnung ist deine.
Ulja: Was ich alles sagte. Woher sollte ich ja wissen, dass du nicht wie die anderen Idioten bist. Alex: Tja, danke.
Ulja: Ich dachte schon, ich finde nie einen. Datete so ab und wieder, um dann als Greisin sich sagen zu können, du habest ja mindestens probiert.
Alex: hohe Ansprüche, wie?
Ulja: Schau, erstes Date. Es kommt ein unrasierter in Trainingshose, einem alten und fusseligen. Und fragt halt unvermittelt nach einer Liebe kostenfrei. Ansprüche sagst du?
Alex: du hast auf mich gewartet, himmelsklar.
Ulja: und wäre ich auf Tinder nicht gegangen? wäre nix gewesen.
Alex: man rennt von seinem Schicksal nicht weg.

Ulja streichelt Alex am kahlen Scheitel, die Hand rutscht auf sein Gesicht, es ist glatt rasiert. Sie betastet Alex Narbe an der rechten Braue.
Ulja: erzähl doch, wo hast du es her?

Alex nimmt ihre rechte Hand in seine. Betrachtet ihr Tatoo („l i e b e“)

Alex: und woher du?
Ulja: Ah das.. Das ist nix. Andenken an den Umzug. Ein neues Leben. Kam nach Moskau und ließ mir eintätowieren

Alex schreibt etwas in seinem Handy.

Alex: check dein Handy. Ulja: und was gibt ́s da? Alex: check einfach.

Ulja wischt an ihrem Handy. Eine neue Nachricht ist da. Sie ließt. Da steht Link zur Buchung im Wellnesshotel Mistral.
Ulja: warum?
Alex: Überraschung!

Ulja: aber heute?
Alex: Du wolltest doch sprechen. Also dann.
Ulja: Aber ich kann nicht. Morgen muss ich früh arbeiten.
Alex: Ihr persönlicher Driver und sein Mercedes steht Ihnen zur Verfügung, Lady. Ulja: das ist doch bescheuert teuer. Ich kann es nicht zahlen.
Alex: Wir handeln was aus.
Ulja: Okay, ich bin gleich da.
Alex: Aber wohin, Matrjoschchen?
Ulja: gleich. schnell. Warte einfach bei der Fliege.
Alex: Bei welcher denn? Hier sind so viele.
Ulja: bei der ersten.

Ulja geht auf Toilette. Schließt sich ein in der Kabine. Atmet tief ein und hält das Atmen still. Hält solange sie kann. Dann atmet aus. Atmet tief. Geht aus der Kabine, schreitet schnell zum Ausgang und verlässt die Galerie.
3

„Macdonalds“. Ulja und Kolja. Sie beißen an Big-Macs und trinken Colas. Kolja hat rotes Haar. Er ist 22. Trägt weißes T-Shirt. Ulja hat schwarze gestrickte Mütze auf. Darunter fallen ihre blaue Haare. Sie trägt breite 3/4-Hose und ein riesiges oversized-T-Shirt. Auf ihren Füßen massive Laufschuhe. Sie bekommt eine SMS von Alex.

Alex (sms): was ist los?

Ulja lässt die Nachricht unbeantwortet.

Ulja: Als ich es kapierte, gingen mir die Augen auf. Nehmen wir mal – ich mag gerne Eis. Und will es kaufen und gehe in den Fischladen. Und erzähle dann allen weiter, wie schwer es fällt, ein richtiges Eis zu finden. Woher aber bitte Eis im Fischladen? Und sobald du dir zugibst, ob du Fisch oder Fleisch oder Eis bist, so kriegst du gleich hin, in welchen Laden di hingehörst. Und wirst hingehen und sich ins richtige Schaufenster stellen. Aber eben in dein Schaufenster, versteste?

Kolja nickt. Beißt weiter an seinem Big-Mac. Uljas Handy klingelt: eine weitere SMS von Alex.

Alex (sms): Matrjoschchen…

Ulja ignoriert die SMS.

Ulja: Wie kann denn eine Kiwi neben Würsten liegen, im gleichen Schaufenster. Daher all die Probleme. Ich gab mir vor wie ein Eis, bin aber kein Eis. Und gehöre nicht hin. Und heiße halt anders. Und suche folglich an falschen Orten.

Kolja tropft sich versehentlich Ketchup aufs T-Shirt.

Ulja: Warte. Halt!

Ulja fotografiert den großen roten Fleck auf dem weißen T-Shirt und postet gleich auf Instagram und facebook.
Ulja: Stimmt das, dass wenn du in Macdonalds einen Kassier fragst „seid ihr ein Team?“, soll er alle zusammenrufen und ihr singt dann euren Jingle?

Kolja: nöö, alles Mist. Davon haben wir – so nebenbei – nur Thanksgiving-Tag. Da kommen die Typen aus dem Büro runter ins Restaurant. Nur einmal pro Jahr. Aber dann echt – sie kommen runter und stellen sich an die Kassen.
Ulja: wow, würde mal gern mit jemandem tauschen. Würdest etwa du mit jemandem dein Leben tauschen.

Kolja: Nöö, so ein Scheiß.
Ulja: ich aber schon. und zwar blind.
Kolja: und mit wem?
Ulja: mit dir z.B.
Kolja: for really?
Ulja: du bist wie ein Big-Mac – machst dir nix vor. So wie du bist und alles nach aussen.
Kolja: Na schon vielleicht.
Ulja: und eigentlich mögen alle Macs. Sie lassen sich nur ungemütlich beißen. Man braucht einen großen Mund. Und stimmt das, dass euch das Lächeln beigebracht wird?
Kolja: für Klienten schon.
Ulja: Und was war du früher?
Kolja: eigentlich bin ich ein Promoter. Doch aufgegeben. Früher machte so Partys. Auch Geburtstagspartys. Nicht nur ich, als Team.
Ulja: und durftet ihr gratis fressen?
Kolja: of course. Willst du noch was?
Ulja: du machst dir hier bequem.
Kolja: Naja. und du? Was machst du im Leben?
Ulja: bin Sängerin.
Kolja: wow, echt? Hätte nicht gedacht, dass auch Sängerinnen sich tindern.
Ulja: Nun, ich hab ja auch aufgegeben. Nur Karaoke.
Kolja: sing doch was. Kannst du?
Ulja: Stimmbänder seit gestern kaputt. Die ganze Nacht „Kaiserin“ aus vollem Hals gesungen. Der Steuerdienst feierte bei uns. Nur Allegrowa bestellen. Und ich am Arsch.
Kolja: und ich sang im Kinderchor.
Ulja: bäh, ich hasse Kinder.
Kolja: „Du schöne Ferne“, „Waldhirsch“, kennst du diese?
Ulja: aber klar, sind doch Klassiker.
Kolja: wir halten auch Teamgeist hoch, so was. Am 8. März machten alle zusammen ein Musikvideo. Da hab ich auch mitgesungen.
Ulja: Wir gründen eben mit Saschka eine Band. Sie ist meine Freundin. Auch Sängerin. Seit der Schule haben uns angefreundet. Alle mobbten sie. Ich aber erfuhr nachher, dass ihre Mutter nur ein Bein hat. Und hatte so viel Mitleid für sie. Seitdem sind wir Freundinnen. Aber Saschka singt mehr Opern. Und ich Jazz. Ich mag, wenn Russen Jazz singe. Weil es irgendwie falsch ist, rebellisch. Und wir ließen uns einfallen, Jazz und Oper zusammenzubringen. Quasi Fusion, kennst du das?
Kolja: so hieß ein Salat.
Ulja: auch wir mussten bei beschießenen Partys singen.
Kolja: so sind wir also Kollegen.
Ulja: aber nur Covers. Erst jetzt wollen eigenes Album hinkriegen. Ich verantworte die Musik und Saschka die Lyrik. Wobei auch ich gerne dichte. Aber Musik soll doch jemand übernehmen. Sonst sind ja alle gerne Poeten. Kurz, wir brauchen eigenes Album, das wäre dann einen neuen Level.
Kolja: Naja.

Ulja: Aber eine Frauenband… Verstest du? Ist schwierig, sich durchzusetzen, wenn nicht durch Sex. Schieß Show-Business.
Kolja: Ach was, hier das gleiche.
Ulja: und da beschloss ich, meinen Traum in Erfüllung gehen lassen.

Kolja: und worum gehts da?
Ulja: na fass dich. Ich wollte schon immer in Porno spielen.
Kolja: das ist ja Spitze!
Ulja: Aber alle reden dann wegen Sittlichkeit, quasi bäh. Ich aber wollte es schon immer wirklich. Aber schämte mich. Wie wenn jemand erfährt. Oder Mama mitkriegt. Wäre doch ́nen Schock. Stell dir vor, deine Mama sieht dich mal so? Oder wenn Partner? Würdest du dich mal mit so einer einlassen, nach so was?
Kolja: Weiß nicht.
Ulja: Und ich sagte mir, piss euch alle! Ich lebe nur einmal! Wozu fürchten? Mach doch, wenn ́s dir Spaß macht. Denk nur, so eine wie mich auf der Straße und alle Männer drehen sich um und sagen hinterher: „Guck nur, diese da, die wir gestern im „Familien-blow-job“ gesehen haben“. Kolja: du, echt nun? so eine treffe ich zum ersten mal.
Ulja isst ihren Big-Mac fertig.
Ulja: Und warum nicht? Diese Scheiß-Beziehungen sind mir ehe egal. Nicht mein Ding. Bei mir wie am Bahnhof – nur durchfahrende Gäste. Und in Porno halt, überleg dir doch, gratis Sex mit gehypten Männern. Und Tinder kann in Arsch gehen. Und wer wolltest du werden?
Kolja: ich?
Ulja: Ich eine Putzfrau.
Kolja: was?
Ulja: Putzfrau. Cleaning. Fußboden abwischen und hast ganzen Tag frei. Nicht alle doch sind für Kosmos geschaffen. Wo kommt es nur her, dass wir von uns dann so viel halten? Es ist Zeit zuzugeben, dass ich untalentiert bin. Und Punkt. Und dem nachgehen, was ich wirklich will. Kolja: und falls garnicht will?
Ulja: Vielleicht ist es ja eben meine Berufung? Garnicht. Einfach losfliegen. Wie dieser verfickte Falter. Merk dir, Kolja, Rothaarigen sag ich nur nach dem Sex das „Gutenacht“.
Kolja: was nun?
Ulja: willst du mich ficken?
Kolja: wie?
Ulja: eben ficken.
Kolja: ähm… so eben gleich?
Ulja: hast mal während Schichten gefickt?
Kolja: weiß nicht.
Ulja: geh denn aufs Frauenklo. In die letzte Kabine. Sperr dich ein und zieh dich nackt aus, aber ganz. Und warte.
Kolja: vielleicht doch ein Behinderten-WC?
Ulja: langweilig. Ich hab doch mein Fetisch.
Kolja: keine Frage.
Ulja: ich klopfe bald. Sei aber in voller Bereitschaft. Ich mag, wenn sofort. Ohne hin und her. Kolja: toll!
Ulja: geh doch, lass das rumkauen.
Kolja: eben kauen – hastte Gummis? die Kondoms?
Ulja: klar doch, geh endlich.

Kolja geht auf die Toilette. Ulja bekommt eine SMS von Mama.

Mama (sms): Hallo, wie geht ́s? Wir schauen uns grade Malachows Show. So ein Schrecken. Eine Oma hat eine Fliege aus Versehen verschluckt. Ich hätte mich beinah übergeben. Zum Glück, geht es uns gut. Voll gegessen und liegen nun flach wie drei glückliche Schweinchen. Ulja (sms): super, freue mich für euch. Bei mir auch alles gut.

Mama (sms): Kann das Foto nicht anhängen. Wie schiebe ich es in den Chatt?
 Ulja (sms): Bin beim Arbeiten. Busy. Nachher.
Ulja geht zur Kasse. Ruft einen Manager. Es kommt eine Frau.
Managerin: Guten Tag.

Ulja: Guckt nach euern Mitarbeitern, bitte.
Managerin: Und was los mit denen? Ist was passiert?
Ulja: Können gerne selber auf die Frauentoilette gehen und gucken, ob was passiert ist. Die letzte Kabine.

Sie geht schnell weg aus dem Cafe. Guckt aufs Handy – da ist ein Foto von Mama. Ulja klickt an: auf dem Bild sind zwei Katzen auf dem rechten Mutters Bein. Ein linkes Bein hat sie nicht. Mama (sms): scheinbar geklappt. So sind wir – kannst nun schauen. Alle zusamm. Nif, Naf und Nuf.

Handy klingelt erneut mit einer SMS von Friedman.

Friedman (sms): und wie geht es meinen Geldern?

Ulja löscht seine Nachricht. Geht aus dem Macdonalds.

4

Ulja fährt mit der U-Bahn. Schaut auf die Laufschrift, die die nächsten Stationen aufzählt. Notiert sich im Handy Wörter, abgeleitet von Buchstaben, die sie von der Laufschrift abliest. Laufschrift: Krasnopresnenskaja
Ulja: Pensen. Zinsen. Posen. Sex. Stress. Krass. Krach.

Laufschrift: Belorusskaja
Ulja: rules. Boss. Böse. Busse. Rest. Risiko. Raus.
Laufschrift: Nowoslobodskaja
Ukja: Slow. Snow. Snowball. Bill. Kill. Los. lost.
Laufschrift: Prospekt Mira.
Ulja: Respekt. Suspekt. Risiko. Krise. Krimi. Kreis. Märe. Mord Laufschrift: Komsomolskaja
Ula: Kosmos, Koloss, Moloch, Loch, noch, soll, muss, aus

Ulja sucht unter Kontakten nach Alex nummer

5

Ein Spielplatz im Innenhof bei einem Plattenbau. Ulja sitzt auf der Schaukel. Sie hat nach wie vor blaue Haare. Neben ihr Alex – er schwingt die Schaukel langsam hin und her.
Alex: und was ist nun mit deinen Haaren?

Ulja fasst ihn an Bein und drückt ihn an ihre Brust.

Alex: Matrjoschchen, du soll nun Malvina heißen.
Ulja: Alex, weißt du.. Alex, ich bin von einer anderen Wolke.

Sie schaut ihm direkt in die Augen.

Ulja: deine Augen – sie sind komplett gleich.
Alex: Wie sonst, muss ich etwa zwei verschiedene haben?
Ulja: bei allen sind sie doch verschieden. Hast du nicht mal gemerkt? Wenn du mit jemandem sprichst, guckst du halt immer nur ins ein. Das linke Auge ist immer freundlich. Das rechte ist bös. Und du hast zwei linke.

Anruf von Fridman. Ulja schaltet ihr Handy aus.

Alex: Ulja..
Ulja: Ich…
Alex: was ist los?

Ulja schweigt.

Alex: Matrjoschchen, du weißt doch ja, ich kriege alles hin. Sag nur, was los ist.
Ulja: Hab schon von manchen gehört. Denen, die mich dann wie eine Fliege tot schlugen. Alex: bitte, verschwinde nicht mehr so.

Alex drückt Ulja fest an sich.

Ulja: wo du mich umarmst, bin ich zuhause. Hab schon vergessen, wie es sich anfühlt.
Sie schweigen.
Ulja: Ich bin eigentlich nicht von solchen, die nach einen Monat Beziehung schon Kindernamen parat haben.

Sie schweigen.

Alex: welchen Namen magst du am meisten?
Ulja (lächelnd): Saschka.
Alex: für einen Jungen oder ein Mädchen?
Ulja: stell dir vor, eines Tages sagt uns unser Sohn, dass er schwul ist. Alex: wieso?

Ulja: Was machst du dann?
Alex: Was für eine Frage…
Ulja: also, was?
Alex: woher soll ich das wissen.
Ulja: bist etwa homophob oder?
Alex: was meinst du damit?
Ulja: nur ganz ehrlich – homophob oder nicht? Alex: nein.

Ulja: bist du gegen Schwulen?
Alex: ist doch scheißegal. Wenn sie Kinder nicht anrühren. Und niemanden anstecken. Wozu alles Fragen denn?
Ulja schweigt.
Alex: was nun wieder los?
Ulja schweigt.
Alex: Ulja…

Ulja winkt in die Richtung Plattenhaus.

Ulja: Zahl den zweiten Stock nach unten. Siehst du?

Alex schaut nach oben.

Ulja: viertes Fenster rechst. Da ist sie – meine Hypothek. Daher muss ich meinen Klienten Gewinne bringen. Bin wie versklavt. Sie leben, ich arbeite. Morgens macht der Markt auf und ich lege los. Damit die, die leben, mehr Geld gewinnen. Sie bezahlen mich gut für mehr Geld. Nur darf ich auf keinen Fall weniger bringen. Und wenn es klappt, bezahlen sie gut. Und das Fenster daneben, das fünfte, siehst du? Da ist mein Mann.

Alex: was heißt Mann?
Ulja: eben so – mein Ehemann.
Allen: wessen bitte?
Ulja: Ich wollte dir schon immer sagen. Alex (schreit sie an): Und wann denn bitte? Ulja: Verzeih.
Alex: Verzeihen?! Spinnst du?!

Ulja schweigt.

Alex: bist wohl bescheuert oder?! vielleicht debil?! Ulja: er ist behindert. Rollstuhlfahrer.

Alex schweigt.

Ulja: ich war am Steuer. Mich hat Rettungskissen gestoppt. Ihn aber warf es übers Autoglas.

Alex geht zu seinem Auto. Ulja schaukelt weiter und mit immer heftigeren Rucken. Alex dreht sich zu ihr um.
Alex: Du musst aber weiter malen, Matrjoschchen. Versprochen?

Alex setzt sich ans Steuer und fährt davon. Ulja bleibt auf der Schaukel sitzen.

Friedmans Büro.

Friedman: Ich dachte mir schon, ist wohl nicht was passiert? Mach einen Anruf nach dem anderen und komme nicht durch.
Ulja: und wozu?
Friedman: hebst nicht auf, legst ab.

Ulja: Wozu habt ihr alles gehackt?
Friedman: und nun kommst du selber wie gerufen.
Ulja: Was nützt euch mein facebook?
Friedman: ich kenn nicht einmal das Wort.
Ulja: auch instagram, wozu? Ich hab doch hundertmal erklärt. Ich hab alles im Griff. Ihr kriegt alles zurück. Bloß etwas warten!
Freidman: Verstehe nicht, hast du mal Kennwort verpeilt oder vergessen?

Ulja schweigt.

Friedman: wenn magst, kann ich meinen Leuten sagen, die kennen sich aus. Anderthalb Millionen und alles wieder gutgemacht.

Ulja schweigt.

Freidman: Aber sag mir doch, was hat dieses coming-out an sich?

Ulja schweigt.

Friedman: sowas wie Beichte oder? Nur halt öffentlich?

Ulja schweigt.

Freidman: Wie kommt man auf die Idee, dort was ganz privates aufzuheben?

Ulja schweigt.

Friedman: Nun, was schweigst du denn so? Hast Angst? Muss nicht. Kriegst dein Kennwort wieder. Ich scheiße ja auf deine Geheimnisse. Erst aber Geld überweisen, kapiert?
Ulja: Hab doch schon gesagt – welche Sanktionen auch immer, egal welchen Arsch noch sonst, sobald Inflation emporfliegt – wird alles sofort rückerstattet.

Friedman: Irgendwie mag ich dich schon. So väterlich. Soll ich dir etwa halt verzeihen? Ulja: bloß ein bisschen noch warten.
Friedman: okay, ich warte.

Er legt seine Hand auf Uljas Brust.

Ulja: ich bin jünger als Ihre Tochter.
Friedman: Auf Sex hab ich kein Bock. Am wenigstens mit dir. Kannst du singen?
Ulja: was?
Friedman: Kennst welche Kinderlieder?
Ulja: was, welche?
Friedman: scheißegal, gerne „Schneeflöckchen“ wenn es schon darauf ankommt. Morgen singst du uns halt. Mir und meinen Kommilitonen.
Ulja: verstehe nicht.
Friedman: was nicht verstanden? Morgen kommst du hierher. Ziehst dich aus. Kniest. Streichelst dich rum. Und singst für deinen Papa. Und Papa mit paar leiben Onkeln schauen inzwischen, ob du einer Verzeihung wert bist oder nicht.

Ulja geht zur Tür. Friedman sagt ihr hinterher.

Friedman: Wer zahlt, bestimmt die Musik.

7

In einem Kino. Ulja schaut einen Film. Vor ihr sitzt eine Teen, die schon ganze Zeit an ihrem Handy hängt. Ulja beugt sich zu ihr und verweist sie.
Ulja: etwas stiller bitte.

Die Teen zeigt ihr Mittelfinger, ohne sich umzudrehen. Ulja hebt sich von ihrem Sitz und schlägt das Mädchen an den Kopf.
Ulja: du Nute, Beschissene, Debilin!

Das Mädchen schreit laut. Ulja rennt davon. Ihr Handy klingelt – Mamas Anruf. Ulja lehnt ab. Wiederholter Anruf von Mama. Ulja lehnt ab. Es kommt eine SMS von Mama.
Mama (sms): kann nicht einschlafen. Auch wenn du es nicht magst, alles gute zum Geburtstag, liebe Saschka.

Ulja schreibt an Friedman.

Ulja (sms): wo soll ich morgen hin? 8

Ulja und Alex. Am Hauseingang

Alex: Verstehe nicht, wieso die Inflationsrisiken nicht zählen.
Ulja: Wir hatten einen Sondervertrag beschlossen: eine feste Summe und nur die. Er hat die Quittung für anderthalb Millionen. Mit meiner Unterschrift.
Alex: lass ihn beim Gericht anklagen.
Ulja: doch ich bin selber schuld. Tatsächlich. Es hätte klappen müssen. Und es wir noch klappen müssen. Der Rubel fällt steil. Wie immer hierzulande – lange wird ́s nicht gut gehen können. Dann zahle ich dir zurück. Aber will doch mit ihm nix am Hut haben.
Alex: gib mir seine Nummer.
Ulja: glaubst du mir nicht?
Alex: Weißt du, du rufst mich um 8 Uhr morgen am Sonntag an. Ich komme, wobei ich nicht musste. Nach allem, was geschah. Was denkst, ob ich dir glaube? Du bittest um Gelder. Und gar nicht wenig. Ich bin bereit zu helfen. Aber dein Wort ist mir etwas zu wenig. Tut mir leid.

Ulja wischt auf ihrem Handy, öffnet Kontakte, klickt Friedmans Namen, diktiert. Alex schreibt auf und geht zum Auto.
Ulja: Alex, danke!
Alex: ich melde mich.

Alex steigt ins Auto und fährt ab. Ulja schreibt an Friedman eine SMS.

Ulja (sms): Es kommt bald ein Bekannter von mir. Bringt das Geld. Friedman (sms): Papa hat dir doch alles verziehen.
Ulja (sms): Es kommt bald ein Bekannter von mir. Bringt das Geld.

9

Ulja fährt mit der U-Bahn. Schaut auf die Laufschrift, die die nächsten Stationen aufzählt. Notiert sich im Handy Wörter, abgeleitet von Buchstaben, die sie von der Laufschrift abliest. Laufschrift: Kurskaja
Ulja: Kurs, krass, Kriese

Laufschrift: Taganskaja
Ulja: Gas, Sackgasse, ask, gun Laufschrift: Pawiletskaja
Ulja: Wille, weapon, Knebel, Leben Laufschrift: Dobryninskaja
Ulja: Risiko, easy, debt, death Laufschrift: Krasnopresnenskaja

Ulja ruft Mama an.

Ulja: Mama
Mama: Hey, wow! Heute sogar angerufen! Wie geht ́s denn?
Ulja: schlecht
Mama: bei uns auch alles gut. Satt gegessen, nun chillen.
Ulja: Hörst du nicht, ich sage doch, mir geht schlecht.
Mama: was sagst? Höre dich schlecht. Es raschelt etwas bei dir. Oder bei mir?
Ulja: Kann ich mit dir sprechen? Kannst du mit mir sprechen?
Mama: Warte kurz, ich mach den Fernseher leiser. Sonst höre nix. Na, stop, ihr zwei! Nicht kacken hier. Ihr Frevler!

Ulja: Mama, erzähl doch, wie ist es ohne Bein? Deswegen sollte Papa gehen? Hatte er Angst? Und du, als du wusstest, du wirst nie mehr heiraten können?

Mama schweigt.

Ulja: jedes Mal so viel Angst, dass man dich sitzen lässt, wenn man erfährt. Immer diese Scham vor sich, vor uns. Jedes mal. Diese fucking Scham. Als ob es eine Schande wäre. Ich aber bin doch nicht schuldig. Ich will nur geliebt werden.
Mama: Verstehe nichts. Redest du mit mir oder mit jemandem neben dir?

Ulja: Mama, hör. Ich will meinen Namen zurück, wie sehr ich ihn mir zurückwünsche. Sascha. Saschka. Alexandra. So schön! Wie überlebte ich nur dieses Jahr ohne ihn.
Mama: Hab dir doch gleicht gesagt. Und du wusstest nur: Alles stehen- und liegen lassen. neuen Namen anlegen. Keine Glückwünsche zum Geburtstag mehr. Ist das normal oder?

Ulja: Mama hör.. Ich will dir was sagen… Ich will.. ein Baby. Eine Tochter. Sehr hübsches Kind. Vielleicht mit rotem Haar. In Zöpfen. Ich werde sie zur Schule bringen. Am ersten Schultag bringe ihr Blumen. Werde sie ans Herz drücken, sehr fest. Werde unten vor der Schule warten. Und gehe nicht weg, bis sie kommt. Ich will ein Haus, Mama, eine Familie. Ich bin doch einer Liebe wert.

Mama: Wir lieben dich doch, meine Kleine, ich und die Katzen. Nicht oder, ihr Faulpilzen? Dir geht es also gut, nicht?
Ulja: ich habe AIDS, Mama. Alles gut, Mama.
Mama: na also gut, Gott sei dank. Hey, Katzen! Husch! Weg mit dem Kacken! Weg, sage ich. Ihr, Pisser!

Ulja legt auf und geht aus der U-Bahn.

10

Ulja bei sich – in der Küche ihrer Wohnung. Auf dem Laptops Bildschirm läuft RBC-TV (russisches Business-Canal). Man hört Berichte über rasante Rubel-Inflation.

RBC: …und die USA mit ihrer neuen Portion von Sanktionen jagte dem Rubelkurs den Keil in die Knie und er stürzte in die Untiefe auf der Währungsbörse. Der Dollar-Kurs erreicht nun die Rekordzahl…

Ulja nimmt Handy und versucht, Alex zu erreichen. Er hebt nicht auf. Ulja wählt Friedmans Nummer. Niemand antwortet. Ulja setzt sich an den Tisch. Darauf nur eine Schüssel Brei, eine Tasse Kaffee, ein Löffel, ein Jogurt, eine Banane und eine Pille. Handy klingelt und zeigt Friedmans Anruf. Ulja hebt auf.

Frauenstimme: Sie haben eben angerufen?
Ulja: Ja, guten Tag, kann ich Wiktor Nikulajewitsch sprechen?
Frauenstimme: Und wer sind Sie?
Ulja: Ich bin die Uljana. Börsenmaklerin.
Frauenstimme: Papa kann gerade nicht zum Telefon.
Ulja: Sagen Sie ihm, dass es eilt. Ich hab ihm was gutes zu berichten.
Frauenstimme: Er ist im Krankenhaus, schwere Körperverletzungen, Ohnmacht
Ulja: Was ist denn passiert?
Frauenstimme: ein Überfall dieser Nacht.
Ulja: Wie? (sie schweigt) Entschuldigung. Ich werde noch später rufen. Entschuldigen Sie.

Sie legt auf und wählt Alex Nummer. Keine Verbindung. Sie versucht mehrere Male – gleich ohne Erfolg.

11.

Uljas Wohnung. Mamas Anruf. Ulja hebt auf.

Mama: Also hallo, Alexandra. Oder Ulja? Oder wie du alles heißt? Ich kenn mich nicht mehr aus mit deinen Namen.
Ulja: Hallo, Mama.
Mama: Also habe mich erkundigt. Nun weiß ich, du Nute. Was hast du mir nur angetan? Ich gab dir doch alles, mein Leben. Und du? Eine Schande auf meinen grauen Kopf.

Ulja: Mama..
Mama: Was soll diesen Dreck? Hab ich dich etwa so erzogen? Hörst du? Ich warte, sag mir. Ulja: Mama, schrei mich nicht bitte an.
Mama: Hast du etwa an mich gedacht, als dich da alle rumfickten? Oder bei dir denkt nur das da untenrum? Hab ich dich nicht gebeten, angefleht. Dass du heiratest wie alle. Nun wohl genug gehurt. Nun AIDS noch – schöne Bescherung, danke, mein Herzenskind. Guter Job.
Ulja: aus mit Geschrei?
Mama: Kannst lange warten! Halt das Maul! Und verschlag mir nicht den Mund!
Ulja: und wie gent ́s deinen Katzen?
Mama: was gehen sie dich an! was willst du damit? dass ich dich etwas schlecht behandelt habe? Ulja: ich will garnicht damit.
Mama: also schweig dann. So willst du ja immer – alle andere sind schuld, nur du bist makellos. Ulja: doch, ich bin selber schuld.
Mama: nie hast du mich gehört, was ich dir sagte.
Ulja: liebst du mich, Mama?
Mama: na lass es nun, nicht jetzt doch. Nicht wieder anfangen. Selber schuld. Selber kriegst schon hin. Niemand, hörst du, niemand außer dir hat damit was zu tun.

Ulja schweigt.

Mama: und dass du bitter doch deinen Mund hältst und nicht rumschwatzest. Genug die Schande. Sonst wer weiß, was du noch anstellst. Wenn es jemand erfahren würde. Das hat mir noch gefehlt. Schande lebenslang. Lass doch mindestens andere in Ruhe und schände nicht rum. Verstehst du, was ich meine?
Ulja: ich verstehe.
Mama: umso besser. Der Gott sieht alles. Dass du noch jemanden umbringst! Nie, hörst du? Wenn dir mal vergeben sein soll.

Ulja bricht die Verbindung.

12

Im Treppenhaus vor Uljas Eingangstür. Ulja in Wollsocken, langem T-Shirt und dem Sakko von Alex. Alex neben ihr. Sein Gesicht ist aufgedunsen wie nach langem Saufen und er sieht nach wie vor nicht ganz nüchtern.
Alex: Hast mir doch deine Fenster gezeigt. Konnte auch die Wohnung ausrechnen.

Ulja: Bist du betrunken?
Alex: Scheiß auf alles. Alles!
Ulja: du verträgst doch keinen Alk oder? Alex: Scheiß auf alles Lüge.

Ulja: Ich weiß schon alles.
Alex: dass ich ein Scheiß-Driver bin?
Ulja: Was?
Alex: Driver meines Chefs. Nur Driver, mehr nix. Also hast du nicht viel verloren.

Ulja schweigt.

Alex: Aber es stimmt, dahttps://avia.yandex.ru/?win=333&clid=2255400-225&utm_source=distribution&utm_medium=bookmark_none&utm_campaign=russ ich nicht trinke. Sobald angetrunken, will sofort einem eins runterhauen. Was sagt übrigens dein Mann, dass du hier etwa..

Ulja schweigt.

Alex: Mit 18 hab ich einen fast totgeschlagen. War selber tot besoffen. Du fragtest wegen der Narbe – so hast du es nun.
Ulja: Und wieso?
Alex: Bin süchtig, darf keinen Tropfen Alk, sonst kann mich nicht stoppen. Unser Haus in Jantarnuj hab in Brand gesteckt. Besoffen. Für Mama fand sich eine Stelle in der KiTa. Und ich ging nah Moskau. Wollte verdienen.

Ulja: Alex, ich…
Alex: Auch hier… Einmal konnte nicht widerstehen und dann – 10 Tage in Untersuchungshaft. Und Mama inzwischen mit akuter Thrombose in die Klinik geliefert. Und aus mit ihr. Die in der Klinik wollten mich kontaktieren, aber wie denn. So ist sie tot. Und ich kam zu spät. Also besser… gar nix trinken. Gestern aber… Verstest du, ich würde jeden deinetwegen zerstückeln!

Alex schaut auf die Bernsteinkette, die Ulja trägt. Und auf sein Sakko, die sie anhat.

Alex: Das war ihre Kette. Und ich… Ich miete ein Zimmer in Altufjewo am Stadtrand. Gut, dass du hier mit Ehemann.. Was nützt dir einer wie ich? Alles logisch also. Ich habe nix, nicht einmal das Auto wäre meins. Also gut wegen dem Ehemann.
Ulja: Alex, hörst du…

Alex: (lässt sie nicht zum Wort) fucking Ljoscha bin ich, weg mit Scheiß-Alex.
Ulja: ich kann nicht…
Alex (unterbricht sie wieder): verstehe doch, du bist ein guter Mensch. Ich hab meine Mama im Stich gelassen, nun muss ich meine Schuld mein Leben lang tragen.
Ulja: lass mich doch ausreden…
Alex: Du aber bist ein guter Mensch. Und vielleicht wenn wir nur so wie früher… Lass uns doch wie früher, Matrjoschchen? Das dürfen wir, können wir doch?

Alex zieht sie an sich und küsst sie selbstvergessen.

Ulja: Ich habe.. keinen Ehemann. Ich habe AIDS. Alex: was?

Er stößt sich von ihr weg.

Alex: was?
Ulja: AIDS
Alex: wie?
Ulja: so ist es.
Alex: zur Hölle, wie? bist du denn sicher? Ulja: absolut sicher. Schon seit einem Jahr. Alex: Scheiße… Und ich?

Ulja: sei doch ruhig, wir hatten doch nichts.

Alex (geschockt): Shit…
Ulja: Zur Zeit gibt ́s schon Behandlung und Chancen sehen gut. Und ich bin nicht ansteckend.

Alex schlägt mit der Faust gegen die Wand.

Alex: Shit! Shit! Verfickte Scheiße! Warum? Warum grade das? Das einzige, was ich immer gefürchtet hab! nur kein AIDS! Nur das nicht! Und du – hast mir noch deine Dreck-Zunge in den Mund gesteckt!
Ulja: wovor sollst bitte du denn Angst haben?

Alex: vor Alles, du hast alles kaputt gemacht!

Ulja schweigt.

Alex: du Sau, hätte wegen dir beinah einen Menschen umgebracht. Und wenn doch? Shieeeet… Und dass du mir noch so über deinen Kinderwunsch vorsang…
Ulja: Jetzt darf ich Kinder haben. Ich habe Behandlung und nehme Pillen. Ich bin nicht ansteckend. Und ich werde nicht sterben.

Alex: ein Kind, das alle sage: guck da, ein beschissener AIDS-Krüppel? Bist du bescheuert oder?

Ulja schweigt.

Alex: das hättest du sagen müssen. DAS bitte soll man doch sagen! Menschen müssen gewarnt werden vor solchen. Ich hätte mich nie in so eine verknallt. Hätte ich nur gewusst!
Ulja: ich bin nicht ansteckend.
Alex: egal. Ich hätte wissen müssen. Du hattest kein Recht das zu verschweigen.

Ulja schweigt.

Alex: Wie kam es nur? Nun mal ehrlich, wie! Verstehe nicht. Nichts! Du siehst doch beschießen normal.

Ulja geht in ihre Wohnung. Die Tür lässt sie offen. Alex schlägt mit der Faust gegen die Wand und geht die Treppe runter.

13

Ulja sitzt auf der Bank in einem Park. Sie merkt eine tote Taube auf dem Rasen neben sich. Ein Scharr Fliegen summt über die Leiche. Daneben spielen Kinder: zwei Knaben und ein Mädchen. Kinder lassen ihre Luftballons aus der Hand und gucken, wessen am längsten fliegt. Der des Mädchens will nicht fliegen. Sie wirft ihn in die Höhe, er steigt ein wenig und stürzt wieder herunter. Das Mädchen weint. Knaben ignorieren sie und gucken wie gebannt auf ihre Luftballons. Da oben fliegen zwei – ein grüner und ein blauer – schon nah an Wolken. Die Knaben rufen – mein ist höher, nicht mein. Nur der rote bleibt unten. Das Mädchen weint und wirft ihn immer wieder gegen Himmel. Ihre Mama versucht sie zu beruhigen, sie aber hört nicht zu und weint.

Ulja: wie schön dein Luftballon.

Das Mädchen blickt ihr zu.

Ulja: wie heißt du denn?

Das Mädchen schweigt.

Mama des Mädchens: sag doch es der Frau. das Mädchen: Olja.

Ulja: und ich bi Ulja. Und wie alt bist du, Olja?
das Mädchen: ich bin fünf.
Ulja: und ich fünf und dreißig und ich weine nicht mehr. Wein auch du nicht. Schau nur, wie schön dein Luftballon ist.
das Mädchen: die anderen fliegen und mein will nicht.
Ulja: weil der deine doch besser ist, als die anderen.

Das Mädchen unternimmt noch einen Versuch und wieder vergebens. Sie weint.

Mama des Mädchens: Olja, nun ruhig. schon gut.
Ulja: weil dein Luftballon mit reinem Luft aufgefüllt ist. Und die anderen mit einer Giftgase.

Ulja zeigt dem Mädchen auf die tote Taube.

Ulja: siehst du?

Das Mädchen hört auf zu weinen und starrt die Taube an.

das Mädchen: Täubchen.
Ulja: ein totes Täubchen. Und weißt du warum?

Das Mädchen und seine Mama starren auf die Taube.

Ulja: sie flog und traf einen Luftballon, so einen wie die Knaben haben. Sie wollte mit ihm spielen und er platzte. Und sie schluck die Gift und starb. Du aber bist ein gutes Mädchen. Du hast einem kleinen Vogel da oben das Leben gerettet.

Das Mädchen lächelt und rennt weg, mit ihrem Luftballon spielend. Mama folgt ihr. Ulja holt einen Taschentuch, wickelt die Taube und wirft sie in die Mülltonne.

Ende.

Okt. 2018

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